Sonntag, 17. Juni 2012

Über den Tellerrand: Was wir von Brettspielen lernen können Teil 1

Ich bin ja ein Freund von guten Erzählmechanismen in Rollenspielen. Das merkt man sicher, wenn man hier öfters liest. 
*BAFF* Was schreibt er?
Ja, die Betonung liegt dabei allerdings auf GUT. Ich spiele nicht jedes Rollenspiel, nur weil "Erzählspiel" darauf steht. Aber würde ich sie nicht mögen, würde ich mich nicht so intensiv damit beschäftigen, wie manch ein kritikloser Jubelperser.

Und meinem Empfinden nach kommt wieder etwas in Bewegung. Nach einer (abermaligen), hitzigen Diskussion in einem RPG-Forum über das Marvel RPG in seinem Versuch "Comic-Action" abzubilden; dem Vorhaben eines "Kartenrollenspieles" namens TriCard des Users Merimac im RSP-Blogs-Forum und in seinem Blog ; dem Rollenspiel Trading Card Game Path to Power über Kickstarter; dem Abenteuerbrettspiel Battlestations von 2004, über das ich vermutlich noch berichten werde; dann dem John Sinclair RPG sowie dem Justifiers RPG von Ulisses oder gar dem Einsteigerrollenspiel "Quest" von Pegasus Spiele ...
*lufthol*

... habe ich den Eindruck, dass Rollenspielhybriden zur Zeit in Mode sind, kommen oder kamen. Ein RPG-Hybrid besitzt Elemente eines Rollenspieles (man spielt eine Rolle mit Fähigkeiten, auf die getestet wird und agiert frei in einer Spielwelt) aber stellt gleichzeitig nur einen begrenzten Handlungsspielraum zur Verfügung wie ein Brettspiel. Die Einschränkungen orientieren sich am abgebildeten Genre. In einem Marvel-Brettspiel könnte der Hulk vermutlich kein Sturmgewehr benutzen, weil der Hulk das nicht tut. Grundsätzlich hindert ihn kein physikalisches Gesetz der Marvelwelt daran, ein Sturmgewehr abzufeuern, vermutlich würde er es aber eher als Zahnstocher benutzen. Das nennt man Konvention.
Übertragen auf einen RPG-Hybrid könnte ein Spielercharakter zum Beispiel nur aus einem Kampfwert und einem Sozialwert, aber keinem "Fahrenwert" bestehen, obwohl es im Spiel Autos gibt,  man aber einfach gar nicht in die Situation kommt, Autos zu fahren.

Jetzt könnte man sagen, die Brettspiele Drachenhort, HeroQuest oder Talisman wären dann ja bereits RPG-Hybriden, aber der Unterschied liegt darin, das ein Rollenspiel eben kein Spielziel vorgibt und auch die Szenarien und Abenteuer frei erfunden werden und oft inhaltlich miteinander zusammenhängen. Zudem kann, muss aber nicht, in einem Rollenspiel auch schauspielerisch ausgespielt werden, was in Brettspielen nur in speziellen Umsetzungen vorkommt..
Man könnte auch mit Drachenhort oder HeroQuest Ausspielen und Abenteuerkampagnen spielen, aber genau dann wird es ja auch zu einem RPG-Hybrid und wird nicht mehr in seiner ursprünglichen Intention gespielt. Manche Spieler tun das sogar seit vielen Jahren. Diese bauen dann zum Beispiel eine Dorfphase in HeroQuest ein, in der sich die Helden ausrüsten können. Interessanterweise gibt es solche Spieler, die wiederum mit klassischem Rollenspiel nichts am Hut haben. Dahinter befindet sich mutmaßlich eine Art dritte Community zwischen Tabletop und Rollenspiel. Fakt ist, zahlreiche Internetseiten bauen diese Abenteuerspiele mit Rollenspielelementen aus:
zu HeroQuest:

Das sind natürlich nur Krücken und bieten nur ein sehr eingeschränktes Rollenspielerlebnis, da sie nicht wirklich dafür konzipiert sind. Was können wir also daraus lernen? Ich frage mich, ob ein Hybrid nicht ein gutes Rollenspielkonzept ist. Dazu muss man verstehen, was Spielfreiheit als das Merkmal von Rollenspielen schlechthin ist. Spielfreiheit im Rollenspiel bedeutet, dass ein Spieler alle Handlungen ansagen kann, die seine Rolle theoretisch auch durchführen könnte. Die Regeln stehen dann in der Pflicht, diese Handlungen so umzusetzen, dass sie charakteristische Auswirkungen auf die Spielwelt haben. Daran scheitern grundsätzlich alle Rollenspiele, manche mehr, manche weniger und das ist schnell erläutert:
Unendliche Spielfreiheit bedeutet unendliche Komplexität oder absolute Trivialität, je nach Spielansatz. Jedes Rollenspiel muss damit an seinem eigenen Anspruch scheitern. Manche Rollenspiele versuchen die Komplexität abzubilden und scheitern an Unspielbarkeit, die anderen gehen den Weg über die Abstraktion und vernachlässigen dabei einen Großteil der Auswirkungen der Entscheidungen eines Spielers, wodurch sie trivial werden. In beiden Fällen kommt es so immer wieder zu Diskussionen und/oder Missverständnissen darüber, warum gerade eine fragliche Handlung sich nun nicht so auswirkt, wie sich der Spieler es gerade vorstellt => Es sind einfach keine Regeln vorhanden, um es umzusetzen.

Wenn wir also kein Rollenspiel schreiben können, das die Bedingung eines Rollenspieles erfüllt, dann sollte man Alternativen ins Auge fassen. 

Man muss sich überlegen, was man für den Verzicht der (illusorischen) absoluten Spielfreiheit im Gegenzug erhält. Das wichtigste Merkmal ist, dass so gut wie alle Missverständnisse über den Spielstil eliminiert werden, die eine RPG-Runde haben kann. Niemand hat mehr die Möglichkeit aus dem Stil auszubrechen und die klaren Regeln lassen keinen Spielraum für Interpretationen. Diskussionen über den Spielverlauf im Brettspiel Talisman sind zum Beispiel weitestgehend unbekannt, in Rollenspielrunden dagegen sind sie an der Tagesordnung. Auch lösen Brettspiele die Frage der Spielbalance und der fairen Beteiligung aller Spieler meist wesentlich eleganter. Man muss die Frage stellen dürfen: Warum sollte ich im RPG auch etwas tun dürfen, was weder dem Spielstil, noch der Spielbalance, noch der Fairness nützt? Rollenspiele erkaufen sich ihre angebliche Spielfreiheit damit sehr teuer.
Ein RPG-Hybrid wäre natürlich kein Ersatz für klassisches Rollenspiel, aber ich denke, eine sehr effektive Art, seichte Rollenspielerlebnisse zu haben und ein Genre punktgenau abbilden zu können. Denn, wenn niemand aus der Reihe tanzen kann, dann kann auch das Genre nicht verfehlt werden. Es wäre auch das One-Shot Spiel schlechthin, wenn es universell ist.

In D&D adventure paths (AP) findet man so etwas Ähnliches schon. Diese bestehen im Grunde nur aus Kampfencountern zwischen denen der SL erzählt, wie sie zusammenhängen. Ein Ausbrechen ist aber so gut wie unmöglich ohne den AP obsolet zu machen. Das ist natürlich ein sehr schlecht ausgenutztes Potenzial des Konzeptes, aber der Grundgedanke ist da.
Besser macht es da womöglich Ulisses mit seinem Justifier-"RPG". Die Spieler haben klar vorgegebene Möglichkeiten und können nicht mehr alles tun, was theoretisch möglich wäre, die Struktur des Spieles vermittelt aber dafür zuverlässig das entsprechende Genre. Ulisses versucht hier den Begriff Abenteuerspiel zu etablieren, was ich unglücklich finde und nicht fortführe, da Abenteuerspiele bereits durch Fantasybrettspiele wie Drachenhort oder HeroQuest abgedeckt sind und im Rollenspiel durch die OldSchool-Vertreter des ARS (Abenteuerrollenspiel !) besetzt sind. Doch auch die Ulisses RPG-Hybriden scheitern an zu enger Linienführung, die Freiheiten sind so gut wie gar nicht mehr vorhanden, das Abenteuer bereits vorgegeben.
Ein RPG-Hybrid, der die Stärke von Brettspielen, also klare Optionen mit klaren Auswirkungen und die Stärke von Rollenspielen, also Spielfreiheit und Konsequenzen, miteinander verbinden kann, wäre ein sehr mächtiges Werkzeug für imaginäre Abenteuer.
Wie uns auch dabei Brettspiele Anreize und Ideen geben können und wie auch Brettspiele Geschichten erzeugen können, versuche ich im zweiten Teil konkreter zu beschreiben.

Wie seht ihr die Zukunft von RPG-Hybriden? Zukunft oder Sackgasse des Rollenspieles?
Eine Diskussion gibts im RSP-Blogs-Forum
http://forum.rsp-blogs.de/diskussion-und-kommentare/(hoch-ist-gut)-uber-den-tellerrand-was-wir-von-brettspielen-lernen-konnen-teil/msg7351/#msg7351

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